Auswertung des Gefahren-Atlas für München:Im täglichen Nahkampf

5500 Einträge, 60 000 Stimmen: Der Gefahren-Atlas der SZ zeigt, wo sich Radfahrer und Fußgänger in München unsicher fühlen. Wir haben die 20 größten Problemstellen identifiziert - und gefragt, wie Stadt, Polizei und ADFC sie entschärfen wollen.

Von Thierry Backes und Florian Fuchs

Die Beteiligung war enorm. In knapp vier Wochen haben die Leser der Süddeutschen Zeitung den Gefahren-Atlas auf SZ.de mit 5492 Meldungen in München und dem Umland gefüllt. Die SZ hatte dazu aufgefordert, brenzlige Stellen für Radfahrer, Fußgänger, Mopedfahrer und Rollerblader in eine interaktive Karte einzutragen. Über besonders gefährliche Stellen sollten die Nutzer zudem abstimmen - mehr als 60 000 Stimmen kamen zusammen. Zwanzig Problemstellen hat die Redaktion nun identifiziert und bei Stadt, Polizei und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) nachgefragt, wie sich die Probleme entschärfen ließen.

Marienplatz - Odeonsplatz

Die Strecke gehört mit mehr als 50 Einträgen zu den meistkommentierten Stellen im Gefahren-Atlas. Hier kommen sich nicht nur Radfahrer und Fußgänger, sondern auch Taxis in der Dienerstraße und Gelenkbusse am Marienplatz in die Quere. "Eine Katastrophe" sei die Nord-Süd-Querung durch die Altstadt, urteilt ein Nutzer - was sich jedoch nicht in der Unfallstatistik der Polizei widerspiegelt, die "keine lokalen Häufungen" registriert. Nutzer kritisieren insbesondere die enge Stelle vor dem Spatenhaus, einer fordert eine Verkleinerung der Freischankfläche. Der ADFC wünscht sich ein Gesamtkonzept und eine alternative Verkehrsführung, die von Radlern intuitiv als schnelle Verbindung wahrgenommen wird. OB Dieter Reiter (SPD) hat in der SZ bereits angekündigt, das Problem "in diesem Jahr noch" lösen zu wollen. Dazu soll es im September ein öffentliches Bürgerbeteiligungsverfahren geben.

Odeonsplatz

Am Odeonsplatz kreuzen sich zwei zentrale Radachsen, dennoch gebe es "quasi keine Verkehrsführung", moniert ein Nutzer. Der Radweg Richtung Norden sei "so gut wie nie vernünftig" zu nutzen, heißt es in einem anderen Eintrag: "Tagsüber ist er von Touristen belegt und nachts parken die Taxis darauf." Hauptkritikpunkt ist aber der "verwirrende, schlecht beschilderte" Radweg von West nach Ost, der "täglich zum Radlchaos" führe. Die Stadt will den Platz gestalterisch aufwerten - und den Verkehr neu betrachten, "sobald klar ist, wie sich der anstehende Umbau des Altstadtringtunnels auswirken wird".

Brienner Straße

Die Brienner Straße zwischen Odeons- und Maximiliansplatz ist vielen Radfahrern "viel zu eng". Autofahrer drängten Radler ab, schreibt ein Nutzer und fordert eine Einbahnstraße für den Autoverkehr oder zumindest die Streichung von Parkplätzen für eine Fahrradspur. Der ADFC wünscht sich sogar eine Sperrung der Brienner Straße zwischen Odeonsplatz und Amiraplatz zugunsten eines Radweges. Der Kfz-Verkehr müsste auf den Altstadtring ausweichen. Auch hier verweist die Stadt auf die Renovierung des Altstadtringtunnels. Dabei soll eine attraktive Radroute über den Oskar-von-Miller-Ring entstehen. Eine Tempo-30-Zone an der Brienner Straße und ein Fahrradweg seien dann "gegebenenfalls möglich".

Stachus

Ein Nutzer nennt sie die "Ampel des Grauens - für alle Beteiligten". Wer den Stachus oberirdisch überqueren will, muss einen geteilten Rad- und Fußweg nutzen. Das Problem: Fußgänger, "vor allem Touristen", bemerkten den Radweg nicht, schimpft ein Leser. Außerdem sei hier die Ampelschaltung "katastrophal ungünstig", selbst für Radfahrer sei sie kaum in einem Zuge zu queren. Der ADFC schlägt eine reine Fahrradquerung auf Höhe der Bayerstraße vor. Die Stadt will die Ampelschaltung noch in diesem Jahr überprüfen.

Nördlich des Stachus

Auch weiter nördlich, wo sich Lenbachplatz, Stachus, Elisen-, Sophien- und Ottostraße treffen, droht Gefahr. Laut Polizei ist die Anzahl der Verkehrsunfälle hier "relativ groß". Ein besonders gefährlicher Punkt lasse sich aber nicht ausmachen. Auch im Gefahren-Atlas sind die beschriebenen Probleme vielfältig, die Verkehrsführung sei "unübersichtlich". Nach Angaben der Stadt wird das Problem auf Verwaltungsebene diskutiert, noch 2014 wolle man Lösungen finden.

Sendlinger-Tor-Platz

Zahlreiche Radfahrer beschweren sich über die komplizierte Streckenführung. Besonders schwierig sei es, von der Lindwurmstraße nach links in die Sonnenstraße abzubiegen. Wegen des starken Verkehrs trauen sich viele nicht, auf die Linksabbiegespur zu fahren. Der ADFC schlägt vor, eine sogenannte Fahrradaufstellfläche auf der Fahrbahn zu markieren und die Haltelinie für Autos nach hinten zu verlegen. In dem frei gewordenen Raum könnten Radfahrer bei Rot problemlos vor den Autos auf die Linksabbiegespur fahren. Die Polizei merkt an, dass relativ häufig Unfälle am Sendlinger Tor passieren, weil Verkehrsteilnehmer die Ampeln missachten.

"Hier kann man für eine Karriere als NYC-Radkurier trainieren"

Schwanthalerstraße

Für viele Radler aus dem Westen gibt es zur Schwanthalerstraße kaum eine sinnvolle Alternative Richtung Innenstadt. Darüber hinaus wäre hier, zumindest theoretisch, genug Platz für einen Radweg, findet der ADFC. Dass es den aber nicht gibt, hält ein Nutzer für "unfassbar": Der Autoverkehr sei "völlig chaotisch", Radfahrer würden zwischen Pkws und Lkws "zerrieben". Sarkastisch merkt ein Leser an: "Hier kann man für eine Karriere als NYC-Radkurier trainieren." Auch die Polizei hat 2013 eine "relativ hohe Anzahl an Verkehrsunfällen" in der Schwanthalerstraße registriert. Der ADFC fordert Radfahrstreifen, die Stadt will darüber nachdenken.

Lindwurmstraße

Entlang dieser Hauptverkehrsachse sind die Probleme vielfältig. Der Radweg ist in schlechtem Zustand, ohnehin viel zu schmal und er wird von Fußgängern nicht beachtet. Außerdem gebe es starke Verschwenkungen an den U-Bahn-Aufgängen - und "äußerst verkehrsflussfeindliche Ampelschaltungen", merkt ein Nutzer an. In der Lindwurmstraße wünscht sich der ADFC einen Radweg auf der Fahrbahn. Die Verwaltung hat ein externes Gutachten mit Verbesserungsvorschlägen in einer Schublade liegen. Ob und wann die umgesetzt werden, ist unklar - und hängt laut Stadt von der "politischen Entscheidung zum Projekt Rosenheimer Straße" ab.

Unterführung Lindwurmstraße

Gut 20 Einträge, unzählige Stimmen: Die Bahn-Unterführung vor dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) gehört zweifelsohne zu den größten Gefahrenstellen. Radfahrer nutzen die Bergabpassage, um zu beschleunigen, so dass man als Fußgänger sogar Angst haben müsse, "von hinten umgefahren zu werden", schreibt ein Nutzer. Das Problem hier: Das Bauwerk gehört der Bahn, die nach Angaben der Stadt aber mit dem Baureferat in Gesprächen steht. Der ADFC kritisiert: Solange die DB die Unterführung nicht saniert, was wiederum von der Entscheidung über die zweite Stammstrecke abhänge, "wird es keine vernünftige Lösung geben".

Axel-von-Ambesser-Straße

Diese Kreuzung ist tückisch: Autofahrer haben auf der Thalkirchner Straße Vorfahrt, wenn sie die Axel-von-Ambesser-Straße passieren - Radfahrer aber nicht. Im Gefahren-Atlas beschweren sich viele über die "unlogische Vorfahrtsregel". Der ADFC pflichtet bei: Die Vorfahrtsregel sei "nicht nachvollziehbar", die Axel-von-Ambesser-Straße eine reine Anliegerstraße. Besser sei ein "Vorfahrt achten"- oder ein Stoppschild für Autofahrer. Das sieht die Stadt anders.

Martin-Luther-Straße

Wer aus Harlaching kommend den Giesinger Berg hinunterradeln will, hat direkt hinter dem Sechzger-Stadion ein Problem: Er muss sich durch mehrere Fahrspuren schlängeln, um von der Tegernseer Landstraße auf die Martin-Luther-Straße zu gelangen. "Hier ist ein Radweg nötig und problemlos einzurichten", findet ein Radfahrer. Die Stadt kennt das Problem, hat aber noch keine Lösung. Dafür plant sie, Haidhausen und Harlaching mit Radwegen über die Tegernseer Landstraße vernünftig miteinander zu verbinden. Eine entsprechende Vorlage will das Planungsreferat dem Stadtrat noch 2014 vorlegen.

Wittelsbacherbrücke

An der Wittelsbacherbrücke herrscht allmorgendlich Verkehrschaos, da sind sich viele Nutzer einig. Sie beschweren sich über zu wenig Platz für Radfahrer, zudem bemerkten Fußgänger nicht, wenn sie auf dem Radweg stünden. Auf der Südostseite fehle weiterhin eine Ampel, weshalb Geisterradler die Brücke auf der falschen Seite überquerten. Der ADFC findet eine Ampel auf Höhe des Isar-Radweges sinnvoll und fordert, den Radverkehr direkt am Fahrbahnrand der Brücke entlang zu führen - auch, um Konflikte mit Fußgängern zu vermeiden. Das Problem ist dem KVR bekannt. Abhilfe könnte eine Umgestaltung des Baldeplatzes schaffen.

Rosenheimer Platz - Isartor

Auf der Strecke zwischen Rosenheimer Platz und Isartor finden sich im Gefahren-Atlas die - mit Abstand - meisten Einträge. Der Radweg ist vielen Radlern bergab zu schmal, das gilt sowohl für die Stelle vor dem Müller'schen Volksbad als auch für die Zweibrückenstraße. Auch die Polizei zählt hier eine Vielzahl von Unfällen. Eine Lösung des Problems gestaltet sich schwierig: Zusätzliche Flächen für den Radverkehr ließen sich nur auf Kosten der Autos gewinnen, teilt die Stadt mit. Dafür sehe man "absehbar keine Möglichkeit". Der ADFC fordert, wenigstens die Radwegbenutzungspflicht aufzuheben.

Rosenheimer Straße

Die Einrichtung eines Radstreifens auf der Rosenheimer Straße zwischen dem Rosenheimer Platz und der Orleansstraße war ein großes Thema im Kommunalwahlkampf. Im Januar hatte der Stadtrat die Einrichtung eines solchen abgelehnt, weil dafür eine Kfz-Spur hätte wegfallen müssen. Ein Blick in den Gefahren-Atlas zeigt jedoch, wie unsicher sich viele Radfahrer dort fühlen. Eine Radspur sei hier "dringend nötig", schreibt ein Nutzer. OB Reiter kündigte in der SZ einen entsprechenden Beschluss noch in diesem Jahr an.

"Ein Paradebeispiel für das verkehrsplanerische Versagen der Stadt"

Kreuzung Berg-am-Laim-Straße/Leuchtenbergring

An der Kreuzung Berg-am-Laim-Straße/Leuchtenbergring sieht ein Nutzer "Lebensgefahr", weil Autofahrer aus seiner Sicht allzu rücksichtslos von der Berg-am-Laim-Straße nach rechts auf den Mittleren Ring abbiegen. Die Fahrradampel habe hier eine etwas längere Grünphase als die Fußgängerampel, was Autofahrer aber nicht wahrnähmen. "Als Radfahrer wird man permanent übersehen", klagt ein Leser. Der ADFC verlangt häufigere Kontrollen. Die Polizei entgegnet, dass es hier nur wenige Unfälle gebe - im Jahr 2013 keinen mit Beteiligung eines Radfahrers.

Unter der Reichenbachbrücke

Sie ist das "Nadelöhr des Isar-Radwegs", wie ein Nutzer im Gefahren-Atlas schreibt: die Unterführung unter der Reichenbachbrücke am östlichen Isarufer. Eine "unübersichtliche und unfallträchtige Stelle", weil sich hier Fußgänger und Radfahrer "im täglich hundertfach erlebbaren Nahkampf" begegnen. Der ADFC mahnt breitere Wege an und würde es begrüßen, den Radweg einzufärben. Die Polizei sieht die Lage weniger dramatisch: 2013 sei unter der Brücke nur ein Unfall gemeldet worden. Eine Radfahrerin stürzte wegen eines Hundes, der aus dem Gebüsch sprang.

Ecke Ludwigstraße/Theresienstraße

Viele Radfahrer klagen über Schwierigkeiten, von der Ludwigstraße nach links in die Theresienstraße abzubiegen. Wer die Fahrradampel nicht bei Rot überquere, habe praktisch keine Chance, die Grünphase der Fußgängerampel über die Ludwigstraße noch zu erwischen. Die Folge: eine lange Wartezeit. Das soll sich ändern: Die Stadt will 2015 die Schaltung an der Radampel besser regeln und eigene Aufstellbereiche für linksabbiegende Radfahrer schaffen.

Münchner Freiheit

Fußgänger und Radler beklagen einhellig die Situation an der Bus- und Tramhaltestelle: Weil der Fahrradweg sehr eng daran vorbeiführe, kämen sich Fußgänger und Radfahrer häufig in die Quere. "Der Radweg ist kaum erkennbar", schreibt ein Nutzer. Laut Polizei ereigneten sich im Jahr 2013 hier nur drei Unfälle. Der ADFC hat eine einfache Lösung: Der Radstreifen solle auf die Leopoldstraße verlegt werden.

Rotkreuzplatz

Der Rotkreuzplatz bekommt auch nach seinem Umbau schlechte Noten. "Die Kreuzung ist ein Paradebeispiel für das verkehrsplanerische Versagen der Stadt", schimpft ein Nutzer - und erhält große Zustimmung. Der Platz sei mit seinen engen Wegen unübersichtlich. Als Radfahrer werde man von Autos abgedrängt und müsse aufpassen, keine Fußgänger anzufahren. Die Polizei betont, hier häufig zu kontrollieren. Unfälle kämen aber selten vor. Dennoch: Die Situation hier ist "schwierig", das weiß man auch bei der Stadt.

Laimer Unterführung

Hier ist es sowohl Radfahrern als auch Fußgängern viel zu eng. Ein Nutzer versteht nicht, warum es dort auch noch Stellplätze für Räder geben muss. Die Polizei bezeichnet die Situation an der Unterführung als unauffällig. Und der ADFC? Ist ein wenig ratlos: "Lösung kann wohl nur eine neue Tunnelröhre bringen."

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